Momentan befinde ich mich in einer Situation, in die ich nie gelangen wollte. Ich kämpfe gleichzeitig an vielen Fronten und so langsam wird es unübersichtlich.

Ich habe mich immer anders gefühlt, aber ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, dass ich evtl. Autistin sein könnte. Viele Jahre verbrachte ich die Tage nach dem gleichen Muster, versteckte mich vor Menschen und suchte die Ruhe an unterschiedlichen Orten. Die Arbeit, die mich so viel Energie gekostet hat, war Teil des Alltags. Eine Routine, aus der ich nicht ausbrechen konnte. Freie Tage oder gar Urlaub waren die Hölle.

Dann kam eine große Veränderung. Im September 2016 lernte ich meine jetzige Partnerin kennen. Wir verbrachten viel Zeit miteinander. Bei ihr konnte ich sein, wie ich wirklich bin. Sie hat sich nie beschwert, wenn ich mal Zeit für mich brauchte. Ich konnte ihr immer sagen, wie ich mich fühlte und das kann ich bis heute. In ihr habe ich die Ruhe gefunden, die ich von außen brauche.

Die nächste große Wende kam im Dezember 2017. Der Umzug vom Raum Stuttgart nach Rostock. Der Umzug war eines der besten Dinge, die ich in meinem Leben durchgezogen habe. Abgesehen von der frischen Luft und dem Meer fühle ich mich hier einfach viel freier als in Stuttgart. Irgendwie schien es, als wären hier nicht nur die Menschen anders, sondern auch die Gesetze.

Was ich in Rostock alles bewältigt habe, ist großartig. Mir wurden gleich drei Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben bewilligt. Die erste war zur Orientierung, die zweite zur Vorbereitung auf die Umschulung und die dritte die Umschulung selber.

Ich hatte in meiner Umschulung eine schwierige Zeit mit vielen Zweifeln. Ich wollte nur noch weg. Heute bin ich froh darüber, dass ich genau das Gegenteil davon gemacht habe. Ich habe mich in eine andere Klasse versetzen lassen und ein halbes Jahr verlängert. Ich fühle mich viel wohler und ich habe dadurch noch mehr erreicht.

Nun zurück zur Überschrift.

Im „zweiten Teil“ meiner Umschulung habe ich nach zwei Jahren Wartezeit einen Platz zur Diagnose in einem Krankenhaus bekommen. Da die Diagnose so eindeutig war, konnte ich schon nach zwei Tagen entlassen werden.

Diagnose Autismus

Die Diagnose bekam ich in der Zeit der Prüfungsvorbereitung. War das ein Problem? Nein. Ganz ehrlich, ich habe über die Prüfung gar nicht wirklich nachgedacht. Bei mir stand die Diagnostik im Vordergrund. Die Zeit im Krankenhaus war angenehm, aber auch stressig. Im Grunde genommen bestanden meine Tage aus Spaziergängen, Untersuchungen und Gesprächen. Relativ schnell war klar: Autismus-Spektrum-Störung.

Plötzlich war alles anders

Ich fuhr nach Hause in dem Wissen, das nichts mehr sein würde, wie es vorher war. Ich wusste endlich, was mit mir los war und ist. Ich war erleichtert und gleichzeitig total schockiert. Schließlich ging es auch um das Wissen, das ich nicht gegen jede „negative“ Eigenschaft etwas tun konnte. Vor der Diagnose war wenigstens diese Hoffnung noch da.

Zurück in der Umschulung ging es plötzlich um Nachteilsausgleiche und „was können wir sonst noch tun?“ Mehr als einmal kam ich nach Hause und war gleichzeitig überwältigt und total schockiert. Meine Kursleiterin war und ist mir eine sehr große Stütze. Ich denke, dass sie das gar nicht weiß. Auch wenn sie manchmal ein großes Rätsel für mich ist, ist sie aufmerksam und hilfsbereit. Sie ist eine von sehr wenigen Menschen, die mir bald schon fehlen werden. Ich werde den ersten Menschen, der von schwarz zu weiß gewechselt ist, nicht vergessen.

Außerhalb der Umschulung waren mir die Mitarbeiterinnen vom Landesverband Autismus M-V e. V. eine große Hilfe. Sie haben zwar „nur“ ihren Job gemacht, aber für manche Menschen ist die Arbeit wertvoll und lebensverändernd. Die Beratung zum Thema Schwerbehindertenausweis war hier ausschlaggebend für meinen weiteren persönlichen Wandel.

Der GdB und die Klage

Nach mehreren Gesprächen mit verschiedenen Personen und auf Anraten des Psychiaters von der Diagnostik entschloss ich mich dazu, einen Schwerbehindertenausweis zu beantragen. Ich durchsuchte viele Websites, verschaffte mir einen Überblick über verschiedene Begrifflichkeiten und machte mir erste Notizen. Den ersten Antrag stellte ich am 20.09.2022. Am 07.10.2022 kam der erste Bescheid. GdB 30.

Mir war klar, dass ich einen Widerspruch schreiben musste. Ich legte zuerst fristwahrenden Widerspruch ein und stand dann da und wusste nicht weiter. Zu der Zeit hatte ich mal wieder große Probleme, das was ich wollte in Worte zu fassen. Ich bat jemanden um Hilfe und bekam diese auch. Die Widerspruchsbegründung verschickte ich am 02.12.2022. Natürlich wurde dem Widerspruch nicht stattgegeben. Danach wandte ich mich an einen Anwalt, dessen Schwerpunkt unter anderem das Schwerbehindertenrecht ist.

An diesem Punkt bin ich heute. Der Anwalt hat beim Sozialgericht Klage eingereicht und ich sitze hier meine Zeit ab, kurz vor der schriftlichen Abschlussprüfung, und habe die Klage im Sinn. Lernen? Nein, danke. Ich habe keine Angst vor der Prüfung, sondern vor der Stadthalle. Ich verlaufe mich an fremden Orten ständig. Eigentlich bräuchte ich jemanden, der mich begleitet, aber ich darf niemanden mitnehmen.

Es ist komisch. Die Prüfung steht bevor, die Klage läuft und doch habe ich ständig eines im Kopf:

Ich habe schon oft verloren. Ich meine damit keinen Schlüssel oder einen Geldbeutel.

Ich rede von Menschen.

Ich habe viele Menschen, meine Oma, meinen Vater und ein Kind verloren.

Manche leben nicht mehr, manche habe ich aus den Augen verloren.

Das schlimmste daran ist nicht das Verlieren selbst.

Für mich ist es das Schlimmste zu wissen, dass ich bald verlieren werde.

Von Steffi

Ein Gedanke zu “GdB und vieles mehr”

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